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Das Valley und die Menschen

Adrian Daub: What Tech Calls Thinking

Den Titel dieses schmalen Buchs kann man sich auf der Zunge zergehen lassen. „Was das Valley denken nennt“, heißt es in der deutschen Übersetzung. Wer sich davon eine Streitschrift über ein ernstes Thema verspricht, in der es trotzdem viel zu lachen gibt, wird bei der Lektüre nicht enttäuscht.

Mit seiner unterhaltsam formulierten Polemik demonstriert Adrian Daub, wie man schlechten Argumenten aus der Tech-Branche den Wind aus den Segeln nimmt.

Diese Branche wirbt gern damit, die Welt zu verändern. Adrian Daub interessiert sich in seinem Buch dafür, wem diese Veränderungen eigentlich nützen. Und er wendet sich nachdrücklich gegen eine durchaus manipulative Rhetorik, die verschleiert, was auf dem Spiel steht, sofern die heraufbeschworenen Veränderungen tatsächlich wirksam werden.

Ausgangsfragen

Der Autor ist Professor of Comparative Literature and German Studies an der Stanford University. Seit einigen Jahren ist er auch in der deutschsprachigen Presse mit Beiträgen zum Silicon Valley zu lesen. In seinem Buch geht es ihm darum, zu untersuchen

what the tech world thinks it’s doing when it looks beyond its day-to-day business – the part about changing the world, about disrupting X or liberating Y. […] What ideas begin to track then? And what is their provenance? (p. 4)

Welche Ideen zum Tragen kommen, wenn die Techies aus dem Valley über sich selbst erzählen, und wo diese Ideen herkommen, das sind Fragen, die Daub deswegen stellt, weil sie im Valley selbst momentan eher wenig interessieren. Zumindest vermeidet man dort allem Anschein nach gerne, solche Fragen zu beantworten.

Das Silicon Valley ist dabei für Adrian Daub geographischer Ort und pars pro toto gleichermaßen. Ob ein Unternehmen direkt dort liegt oder nicht, ist also für ihn nicht entscheidend. Ausschlaggebend dafür, welche Gegenstände er untersucht, ist auch nicht unbedingt eine kohärente Ideologie des Valleys. Eher geht es Daub darum, in den Narrativen des Valleys Muster zu identifizieren, wo, wie und warum das Denken der Tech-Branche die Voraussetzungen und vollen Konsequenzen des eigenen Tuns systematisch ausblendet.

Fokus

Die nicht weiter untergliederten Kapitel von Daubs Buchs sind in loser Systematik aneinandergereiht: Dropping Out (über Studienabbrecher:innen), Content, Genius, Communication, Desire, Disruption, Failure.

In seinen Analysen konzentriert sich Daub auf einige der großen Projektionsfiguren der Techbranche. Mark Zuckerberg hat nicht nur einen Auftritt, und auch Peter Thiel oder Elizabeth Holmes werden von Adrian Daub sehr kritisch gewürdigt; sie sind aber bei weitem nicht die einzigen Figuren in seinem Buch.

Ob und inwieweit die von ihm gewählten Identifikationsfiguren als repräsentativ für das Denken des Valleys gelten können, muss der Autor bezweifeln. Das sagt er gleich in der Einleitung. Aber nicht nur für die Ökonomie seiner Darstellung ist die Konzentration auf jene Figuren wichtig. Der Fokus ist auch deswegen sinnvoll, weil sich erst so die Komplexität eines Geschehens handhaben lässt, das die Tech-CEOs oft als unausweichlich präsentieren. Ganz so, als würden sie sagen: Die Digitalisierung ist in der Welt. Sie produziert auch Verlierer:innen. Aber sei’s drum. Wenn wir die Technik nicht entwickeln lassen, tun es andere.

Einen solchen Fatalismus zu vertreten, ist mehr als eine rhetorische Strategie, um sich gegen (Selbst)Kritik zu immunisieren. Denn mit dem Argument, man tue nur, was ohnehin nicht zu vermeiden sei, lassen sich auch unternehmerische Entscheidungen rechtfertigen, die Ungleichheit zementieren. Manager oder gefragte Programmierer:innen müssen ihre üppigen Gehälter nicht ungerecht finden. Das gilt auch dann, wenn das Personal in Cafeteria, Verwaltung oder Telefonservice erheblich weniger verdient.

Philologie

Um dem fadenscheinigen Fatalismus der Tech-Branche entgegenzuwirken, analysiert Adrian Daub deren Strategien, das eigene Handeln zu rechtfertigen.

Er fragt danach, was unsere Protagonisten tun, wenn sie von sich und ihrem Tun erzählen; häufig sind es die unerreichbar scheinenden CEOs großer Unternehmen. Penibel legt Daub dann die Verluste offen, die sich ergeben, wenn man die vordergründig so glanzvollen Erzählungen dieser CEOs auf ihre Widersprüche untersucht und sie mit ihren vergessenen Kontexten konfrontiert.

Das wirkt ein bisschen wie eine nachhaltige Entzauberung auf Raten: Dass die CEOs der Tech-Branche nicht gerade quellentreu verfahren, ist wenig überraschend. Auch nicht, dass sie in den Medien dann Lautsprecher und Publikumsmagneten finden, wenn diese lieber wirkungsvolle Storys verbreiten als genauere Analysen. Die vielleicht stärksten Passagen in Adrian Daubs Buch sind dagegen in meinen Augen die, in denen er durch nichts als genau informiertes Lesen Marketingbotschaften der Branche als ebenso schlecht fundiert und geschichtsvergessen zeigt wie eine Form des Denkens, die meint, noch das eigene Leben je nach Wunsch designen zu können.

Die Kontexte solcher Narrative des Valleys rekonstruiert Daub in seiner Ideengeschichte anhand von Texten, deren Autor:innen großteils auch im deutschen Sprachraum bekannt sind. Zu ihnen zählen Romanciers wie Hermann Hesse oder Aldous Huxley, Medientheoretiker wie Marshall McLuhan und Kulturtheoretiker wie René Girard.

Trump

Girards Lehre zum Beispiel ist, so unwahrscheinlich das klingen mag, sogar noch für den Dunstkreis Donald Trumps interessant geworden. Wie es dazu kommen konnte, das leitet Daub mit einer der elegantesten Provokationen seines brillanten Buches ein:

„So what, exactly, did Girard teach? Be prepared to be further mystified, because although what follows is not at all uninteresting, the path from Girard to the Thiel Foundation to Trump Tower is not exactly a straight line.” (p. 101)

Keine gerade Linie also führt von dem, was der Autor als Girards Lehre rekonstruiert, zu den ideologischen Arsenalen Donald Trumps. Ziehen aber lässt sich diese Linie, mag sie auch überraschen. In der unermüdlichen Rekonstruktion solcher Verbindungen erhält Adrian Daubs archäologische Kritik des Valleys ihre politische Stoßkraft.

Polemik  

Seine Rhetorik ist hin und wieder spöttisch. Unbarmherzig zerpflückt er halbseidene Argumente einflussreicher Theoretiker:innen. Dass solche „unsichtbaren Prophet:innen“ (S. 49) im Valley häufig nur in den Aspekten zitiert werden, die der Branche nützen, macht die Sache für Daub nicht besser. Wie er seine Kritik formuliert, ist kurzweilig, geistreich und unterhaltsam. Schon allein deswegen ist dieses Buch die Lektüre unbedingt wert.

Ein Stück weit aber geht der Autor mit seinem luziden Text auch das Risiko ein, „zänkisch“ (S. 109) zu erscheinen. Das liegt daran, dass es ihm mit einem geradezu detektivischen Spürsinn gelingt, (argumentative) Gewohnheiten sichtbar zu machen, die auch uns selbst nicht schmeicheln, sofern wir die Praktiken der Tech-Branche – häufig auf deren ureigenen Plattformen – unkritisch weitertradieren.

In der Sache ist Adrian Daub reizbar. Im Ton aber ist er weniger polemisch, als es zunächst scheinen kann. Konsequent argumentiert er gegen schlechtes Denken: Polemisch in der Rhetorik und philologisch in der Methode arbeitet Daub dabei auch und vor allem gegen ein Denken, das im schlechtesten Fall durch die Rhetorik der Tech-Branche für deren Ideologie zu empfänglich geworden ist, um ihr noch kritisch etwas entgegensetzen zu können.

Diese Branche gebe vor, auch abseits der technischen Innovationen zu neuartig zu sein, um sich in traditionellen Kategorien verstehen zu lassen. Aber solche vorgeblichen Argumente kontert der Professor aus Stanford mit einer Rhetorik, die immer auch signalisiert, wie ernst die kritisierten Denkfiguren im Einzelnen wirklich zu nehmen sind:

This book is about concepts and ideas that pretend to be novel but that are actually old motifs playing dress-up in a hoodie. (p. 6f.)

Scheitern

In seinem Schlusskapitel nimmt Daub die Ideologie des Scheiterns unter die Lupe, mit der das Valley, wenn man so will, seine empathische, menschliche Seite hervorzukehren versucht (vgl. S. 134ff.).

Öffentlich über Misserfolge sprechen und dafür Rückhalt bekommen zu können, das ist die gute Idee hinter Veranstaltungen wie der FailCon oder den Fuckup-Nights. Dabei ist es aber nicht geblieben. Vom Scheitern kann leichter erzählen, wer den Erfolg schon wieder auf seiner Seite hat. Gescheitert zu sein, macht interessant. Jedenfalls dann, wenn Erfolgsverwöhnte von ihren Fehlschlägen erzählen.

„Fail better!“ ist der Kampfruf, mit dem sich eine solche Konzeption des Scheiterns rüstet. Ihn leitet Daub aus der Erzählung „Aufs Schlimmste zu“ von Samuel Beckett her. Dass und wie dieser Ruf im Valley verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen werde, verdecke, so resümiert Daub,

„worauf Beckett wirklich hinauswollte – das Scheitern als Bedingung des Lebens, das des retrospektiven Glorienscheins des am Ende wartenden Erfolgs entkleidete Scheitern […]. Indem die im Techsektor als Anfeuerungsruf eingesetzte Version von ‚Scheitere besser‘ das Scheitern seiner Schmerzhaftigkeit beraubt hat, hat sie all das beseitigt, was uns nur dieser Schmerz lehren kann.“ (S. 137f.)  

Fazit

Der akademische Lehrer bedauert damit, dass den erfolgsverwöhnten Jungspunden aus dem Valley eine Erfahrung des Scheiterns fehlt, das sich durch keine Erfolgsgeschichte wegerzählen lässt. Und er deutet hier schon an, dass im Erfolg eine eigene Form des Scheiterns liegen kann.

Nimmt man Adrian Daub als Beckett-Philologen ernst, dann darf man allerdings fragen, ob seine so souverän formulierte Polemik gegen das, was das Valley denken nennt, nicht ihrerseits von ihrem Scheitern zehrt. Das würde Adrian Daub vermutlich auch gar nicht abstreiten. Vieles, was er kritisiert, ist kurzfristig nicht zu ändern. Manches lässt sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Auf viele der tatsächlichen, technischen Innovationen wollen wir vielleicht gar nicht mehr verzichten.

Sprengkraft hat dieses Buch trotzdem, da es sich von dem, was das Valley denken nennt, nicht einlullen oder lähmen lässt. Das Denken des Valleys schafft Tatsachen. Gegen solche Tatsachen sieht Adrian Daub ein Kraut gewachsen: nicht aufzuhören, dieses Denken dort anzugreifen, wo seine Auswirkungen für die Gesellschaft insgesamt auf Dauer nicht wünschenswert sein können. Dass gutes Denken allein an den Praktiken des Valleys nichts ändern wird, ist für Adrian Daub kein Grund zu resignieren.


Adrian Daub: What Tech Calls Thinking. An Inquiry into the Intellectual Bedrock of Silicon Valley. New York: Farrar, Straus and Giroux 2020.

Adrian Daub: Was das Valley denken nennt. Über die Ideologie der Techbranche. Aus dem Engl. von Stephan Gebauer. Berlin Suhrkamp 2020.

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