Ins Detail gehen bei Haydn, Mahler, Berg
Bei der Mahler Competition in Bamberg stehen seit einigen Stunden die 3 Finalteilnehmer fest, einen Livestream gibt es morgen hier. Von den ursprünglich 20 Dirigent:innen hatten es 5 ins heutige Halbfinale geschafft. 3 Kandidaten habe ich am Vormittag live im Saal erlebt, die beiden anderen teils nachmittags im Livestream. Um die Wette geprobt haben sie alle das Scherzo aus Mahlers Symphonie Nr. 7 und Alban Bergs 7 frühe Lieder.
Proben in Serie
Solche Proben sind eine gute Möglichkeit, um klassische Musikstücke (besser) kennenzulernen. Und Dirigierwettbewerbe sind Proben in Serie – wer Ohrwürmer mag, wird solche Wettbewerbe lieben; ich kenne keine bessere Gelegenheit, mich bis über beide Ohren in Partituren zu vertiefen, ohne dass ich auch nur eine Note lesen muss.
Das Orchester spielt mir alles vor – immer wieder und vor allem immer wieder anders. Denn jede Dirigentin und jeder Dirigent stellt sich die Stücke anders vor. Jede:r findet eigene Worte. Und alle dirigieren auf ihre eigene Art.
In der Broschüre zur diesjährigen Mahler Competition heißt es:
»Für jede Runde muss ein anderes Repertoire vorbereitet und geprobt werden, in jeder Runde achtet die Jury nicht nur auf die technischen Fähigkeiten und musikalische Ausdrucksfähigkeit, sondern auch auf Ausstrahlung, Publikumswirkung, Präsenz. Nicht zuletzt wird auch die Entwicklung verfolgt, die die Kandidat:innen über die Wettbewerbsdauer erkennen lassen.«
Oper und Triangel
Ein Dirigentenwettbewerb ist kein Wunschkonzert. Ich hätte aus Runde 1 mindestens zwei Kandidaten gerne nochmal gehört. Einer wollte den Kopfsatz von Haydns Symphonie Nr. 92 opernhafter haben – die Gattungsgeschichte gibt das her und musikalisch passt es auch. Ein anderer hat, wenn ich das via Livestream richtig verstanden habe, ein Crescendo (ein Lauterwerden) bei Mahler von der Triangel führen lassen. Unterschätze nie die Triangel!
Allein diese Kleinigkeiten hätten mich nicht überzeugt. Aber solche Ideen können Teil eines tragfähigen Konzepts sein. Und wenn sie es sind, gehören sie zu den Details, die die Probenarbeit mit einem Orchester bereichern können, schon allein weil man Musik plötzlich mit neuen Ohren hört.
Dass klassische Musikstücke ganz unterschiedlich klingen können, je nachdem, wer sie spielt oder dirigiert, ist einer der Gründe, warum viele der immer gleichen Stücke immer und immer wieder gespielt werden: Es sind die gleichen Stücke. Aber sie bleiben nie dieselben.
Der Schluss von Alban Bergs Lied Die Nachtigall
Den Schluss von Alban Bergs kurzem Lied Die Nachtigall auf einen Text von Theodor Storm habe ich heute neu hören gelernt – die letzte Strophe geht so wie die erste:
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
Nach der letzten Strophe spielt das Orchester, als ob es den Hall und Widerhall der Nachtigall wiederaufnehmen würde. Oder hat Berg da die aufblühenden Rosen vertont?
Robert Craft dirigiert die Stelle schön mit einem geschmackvollen Geigenschluchzer bei Minute 2:00:
Zurückhaltender schluchzt das London Symphony Orchestra unter Pierre Boulez mit Jessye Norman hier ab Minute 2:03: