Leonard Bernstein dirigiert Mahlers zweite Symphonie
In Maestro, dem neuen Biopic über Leonard Bernstein, gibt es eine Szene, in der Bradley Cooper, der Bernstein spielt, den Schluss von Mahlers zweiter Symphonie dirigiert. Die Szene hat ein Vorbild in einer Videoaufnahme, in der Leonard Bernstein eine Aufführung dieser Symphonie leitet.
So dirigiert Bernstein selbst:
Der Ausschnitt von oben bildet den Schluss einer Aufführung, die rund eineinhalb Stunden dauert. (In voller Länge kannst Du sie auf YouTube anschauen.)
Kein Wunder, dass der Dirigent nicht nur elektrisiert wirkt, sondern auch ein bisschen erschöpft. Bernstein dirigiert extrovertiert und geradezu exaltiert, er schont sich nicht. Welcher Fußballprofi würde das 90 Minuten lang durchhalten?
Der Film Maestro ist sehr schön und sehenswert, weil er Bernsteins Charisma und seine absolute Lust an der Musik sehr gut einfängt. Wie der kettenrauchende Dirigent selbst zur Probe mit einer Zigarette im Mundwinkel erscheint, wirkt wie ein Markenzeichen eines Musikers, der in seiner Hingabe an die Musik auch ein bisschen rücksichtslos gegen sich selbst aufgetreten ist.
Am Ende von Mahlers Symphonie Nr. 2 singt der Chor unter anderem die Verse »Aufersteh’n, ja aufersteh’n wirst du, mein Herz, in einem Nu! Was du geschlagen, zu Gott, zu Gott wird es dich tragen!«.
»Was du geschlagen« heißt im Kontext des von Mahler vertonten Textes so viel wie: was du ersehnt. Den gesamten Text gibt’s z. B. hier.
Bernstein-Verehrer oder Mahler-Fan
Gilbert Kaplan, eigentlich ein vermögender Wirtschaftsjournalist und Unternehmer, hat Mahlers Zweite so sehr geliebt, dass er sich in den Kopf gesetzt hatte, sie irgendwann einmal selbst zu dirigieren. Es hat gedauert, bis es soweit war. Aber schließlich hat er sich seinen Traum erfüllt. Mehr noch: Er hat es im Laufe seines Lebens nicht nur einmal getan. Und er ist für seine Dirigate dieser Zweiten berühmt geworden.
Man kann sich – und manche tun das in den Kommentaren auf YouTube – streiten, wie gut oder schlecht Kaplan im Ausschnitt unten dirigiert; anscheinend ist es seine erste Aufführung von Mahlers Zweiter.
Und ähnlich kann man vergleichen, wie gut und genau Bradley Cooper Bernsteins Gesten zu kopieren versteht. Er hat die Musiker:innen übrigens tatsächlich dirigiert. Sechseinhalb Jahre habe er sich darauf vorbereitet, ca. sechseinhalb Minuten zu dirigieren, hat Cooper in einem Interview zu Protokoll gegeben.
Von Anfang bis Ende
In meinen Augen spielt Bradley Cooper ganz hervorragend, und auch die Szene, in der er den Schluss von Mahlers Zweiter dirigiert, ist großartig. Trotzdem finde ich das Zusammenspiel seiner Gesten und Impulse mit dem Orchester nicht ganz stimmig. Das mag auch an der Kameraarbeit liegen.
Ich denke aber vor allem, dass es – langjährige Vorbereitung hin oder her – einen Unterschied macht, ob ein Dirigent nur den Schluss dieser Symphonie leitet – wie Bradley Cooper im Film -, oder ob er/sie diesen Schluss erst nach all der aufwühlenden Musik von vorher erreicht. Der Flow zwischen Dirigent:in und Orchester ist ein anderer, und auch die Spannung im Konzertsaal kann gar nicht die gleiche sein.
Gilbert Kaplan dirigiert viel zurückhaltender als Bernstein/Cooper. Und ab Minute 5:25 dirigiert er hinter Chor und Orchester her. Spielen und singen die Musiker:innen schneller, als er möchte? Oder laufen Bild und Ton nicht ganz synchron?
Gegenüber Bradley Cooper hat Kaplan den Vorteil, nicht Leonard Bernstein spielen zu müssen, während er dirigiert. Und dass er kein Bernstein ist, muss ja niemand gegen ihn verwenden.