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Mehr Leichtigkeit

Luigi Boccherinis Cellokonzert D-Dur G. 479

Musik von Luigi Boccherini kann sehr wohltuend sein. Kaum ein Komponist hat so unbeschwerte Stücke geschrieben wie er.

Diese Leichtigkeit lässt sich besonders gut in seinen Cellostücken erleben. Boccherini war nämlich selbst Cellist. Geboren 1743 in Lucca, hat er schon in jungen Jahren ganz hervorragend Violoncello gespielt. Er hat das Ausdrucksspektrum dieses Instruments beträchtlich erweitert.

Absturz in D

Ich habe mich vorgestern Abend mit dem Cellokonzert D-Dur G. 479 beschäftigt. Fast zehn verschiedene Aufnahmen habe ich mir angehört. Das hat nicht länger gedauert als ein Kinofilm mit Überlänge. Denn dieses Konzert ist nach gut 15 Minuten schon wieder vorbei. Es ist überschaubar nur mit Streichern besetzt. Und es ist raffiniert genug komponiert, dass es auch beim mehrfachen Hören nicht langweilig wird.

Der erste Satz beginnt mit einem kontrolliert abstürzenden, gebrochenen D-Dur-Akkord, den das Streichorchester unisono, also einstimmig, spielt. Die Tonart steht damit fest, fast wie in Stein gemeißelt. Dieser erste thematische Abschnitt dauert sechs Takte. Dann folgen zwei Takte, die man schon als Überleitung deuten kann. Der daran anschließende Teil beginnt in a-Moll. Ihn kann man auch rhythmisch und von der Stimmung her ganz gut vom ersten Teil unterscheiden.

Dieser Mollteil klingt nicht mehr so hart und punktiert wie der Beginn. Er ist weicher und fast dramatisch schmachtend. Boccherini moduliert hier sehr graziös, d. h. er wechselt unaufwändig zwischen den Tonarten. Die Grundtonart steuert er schließlich – diesmal nach neun Takten – mit ebenso markanten Rhythmen an, wie er sie zu Beginn des Konzerts verwendet.

Wenn Du genau hinhörst, kannst Du, kurz bevor am Ende dieses zweiten D-Dur-Teils endlich das Solocello einsetzt, in den zweiten Geigen zügig wogende Begleittriolen erkennen. Dieses präzise Rauschen hilft dabei, den Einsatz des Solocellos rhythmisch vorzubereiten.

Sprung in der Schallplatte

Nach drei Viertelnoten auf dem d klingt dieser erste Einsatz ein bisschen so, als ob eine Schallplatte an dieser Stelle hängenbleiben würde. Was das Cello uns da auftischt, sind recht monotone, mehrfach wiederholte Triolenbewegungen, die erst einmal trivial und einfallslos wirken können.

Aber diese Bewegungen haben eine Vorgeschichte. Solche Triolen hat Boccherini nämlich seit Beginn des Satzes mehrfach verarbeitet. Mal erscheinen sie als melodische Überleitungsfiguren. Mal brodelt es, wie oben angedeutet, akkordisch in den zweiten Violinen. Und dann auf einmal setzt das Solocello ein und stellt solche Figuren vor, als ob sie Wunder wie bedeutsam wären.

Wenig später nutzt Boccherini diese Triolen, um zwischendurch immer mal wieder einen Gang höher zu schalten. Dabei muss er nicht einmal das Tempo des Satzes verändern. Er hat ja nicht mehr zu tun, als die Viertelnotenwerte statt mit vier Sechzehnteln mit zwei Sechzehnteltriolen auszufüllen, also mit sechs statt mit vier Notenwerten in der gleichen Zeit.

Zeitlupe

Der zweite Satz hebt an wie eine stilisierte Trauerprozession. Sehr dramatisch, fast tragisch klingt er. Aber zugleich ist er eher gedeckt in den Farben, unaufdringlich und zurückhaltend.

Wenn dann das Cello einsetzt, wirkt das ganz schwerelos. Dieser Gesang ist der Zeit des Trauerzugs enthoben. Langsame Triolenfiguren erinnern an ähnliche Figuren aus dem Kopfsatz. Nur findet alles jetzt in einer berückend schönen Zeitlupe statt.

Besonders gelungen finde ich diejenigen Stellen, in denen Boccherini das Soloinstrument von den Bassetagen nach oben steigen lässt, bis es teils sogar die Violinen überflügelt. Die Oberstimmen sind dort passagenweise so eng aneinander gebunden, dass wir gar nicht mehr sofort hören, welches Instrument jetzt die oberste Stimme spielt.

Rausschmeißer  

Der Schlusssatz schmeißt uns derb hinaus aus dieser himmlischen Ruhe. Aber elegant wie die vorigen Sätze ist auch dieser Tanzsatz, und zwar unter anderem darin, wie dezent und nobel er von einer Stimmung in die andere wechselt, ohne daraus eine große Sache zu machen.

Wenn Du genau hinhörst, wirst Du diese feinen Stimmungsschwankungen bestimmt erkennen. Sie ziehen sich durch das gesamte Konzert.

Tipps

Weiterempfehlen kann ich übrigens Aufnahmen mit den Solisten Anner Bylsma, Ivan Monighetti, Edgar Moreau (er spielt das Finale unglaublich schnell) oder das besondere Arrangement von und mit Sonia Wieder-Atherton.

Sehr hörenswert ist auch Enrico Bronzi am Cello. Vor allem den dritten Satz finde ich in seinen Händen sehr gelungen. Hör mal, wie feinfühlig, wild und übermütig er das spielt. Vielleicht fällt Dir auf, wie überraschend er nach dem ersten Celloeinsatz kurz das Tempo drosselt – das passiert hier so ab Minute 1:20:

https://www.youtube.com/watch?v=7zT13S5XtSI

Aber diese Verschnaufpause dauert nicht lange. Dann wird es wieder schneller.

Viel Spaß beim Hören!

Fußnoten


Diese Live-Aufnahme mit Mstislaw Rostropowitsch gefällt mir nicht besonders gut. Aber hier wird die Partitur mit eingeblendet:

https://www.youtube.com/watch?v=r5_p0_XRUk4

Prägnant und unterhaltsam ist die kurze Einführung von Carter Brey, dem Solocellisten des New York Philharmonic:

https://www.youtube.com/watch?v=yKbjENbhdTU

Das sehr lesenswerte Buch über Boccherini von Babette Kaiserkern rezensiert informativ Peter Sühring:

http://info-netz-musik.bplaced.net/?p=12320

Akustik Alpensinfonie Amerika Anton Webern Arrangement Beethoven Berge Berlioz Beschleunigung Blechbläser Brahms Clara Schumann Dirigentenwettbewerb Dmitri Schostakowitsch Eric Ericson Erinnerung Finale Franui Johann Sebastian Bach Katholizismus Klavier Klavierkonzert Kommunikation Komponistinnen Leichtigkeit Lied Ligeti Mahler Mahler Competition Melodien Ordnung Passacaglia Pastorale Programmmusik Scherzo Schubert Stille Strauss Strawinski Symmetrie Symphonie Symphonie Nr. 1 Symphonie Nr. 3 Symphonie Nr. 4 Symphonie Nr. 5 Symphonie Nr. 6 Symphonie Nr. 7 Symphonie Nr. 8 Violinkonzert Vivaldi

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