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Der Sound der Berge

Franz Schuberts Deutsche Messe im Freien

Viele Töne und Geräusche erlebe ich nur hier in Osttirol, das heranschleichende Kuhglockengebimmel zum Beispiel, das mir folgt, während ich abwärts gehend versuche, Ruhe auszustrahlen, und wenn ich mich umdrehe, bleibt die Kuhhorde verstohlen stehen, als würde sie mir hinterherspionieren. Auch wie der Wind um die Flügel der im Gleitflug segelnden Bergdohlen braust, höre ich nur hier, es klingt gar nicht unähnlich dem Rauschen der Segelflugzeuge, die hoch überm Tal, aber nahe den Berghängen dahingleiten. Das Plätschern des Baches verschwindet innerhalb von Sekunden wie in der Ferne, sobald er tiefer fließt als die nächste Hügelkuppe, über die ich steige, während ich das Wasser hinter mir lasse.

Die Akustik im Gebirge ist zauberhaft: Am Grashang klingen die Schritte anders als zwischen hohen Felsen, im Wald die Vögel heimeliger als über der Baumgrenze, am See das Echo klarer als im Nebel, der sowieso alles in seiner Nähe dämpft – außer es kommt von weitem.

Bergmesse

Letztes Jahr bin ich zu spät zur Bergmesse gekommen, die am ersten Sonntag im August auf dem Hochstein hinter Lienz stattfindet. Ich war vorher wandern und etwas enttäuscht, durch Nebelschwaden schon das „Wohin soll ich mich wenden“ aus Schuberts Deutscher Messe zu hören, während ich noch unterwegs war.

Die Blaskapelle, die Schuberts Messe spielt, steht jedes Jahr unter dem übergroßen, mehrere Meter hohen Heimkehrerkreuz auf einer kleinen Anhöhe, um die herum in der Nähe keine Felswand ist, die ein Echo zurückwerfen würde; Bäume, die den Schall schlucken würden, stehen erst einige Meter tiefer.

Schuberts Messe ist schön und inmitten der Bergkulisse ergreifend auf fast kitschige Art. Sie klingt akustisch leicht entrückt, weil der Schall der Blasinstrumente sich schnell Richtung Himmel verliert und in den Weiten der Landschaft.

In diesen Momenten erschließt sich mir die sinnliche Überzeugungskraft des katholischen Glaubens, auch wenn ich sonst praktisch nie in die Kirche gehe. Alm- und Wettersegen wirken in dieser unheimlich schönen Landschaft nur logisch, wo alles Jahr für Jahr vom Wetter abhängt und geprägt ist, sei es der Sommerurlaub oder der Baumbestand, der nach Stürmen und schwierigen Wintern momentan überall sichtbar unterm Borkenkäfer leidet.

Akustik

Dass der Klang der Blaskapelle ein wenig verloren und verletzlich klingt in der Weite der Berge, passt ins Bild. Der Kanonendonner, das Ich hatt‘ einen Kameraden und das Gedenken an die Gefallenen und Vermissten der beiden Weltkriege wären ein eigenes, anderes Thema.

Hector Berlioz im 19. Jahrhundert hat vermutlich keine solche Bergmesse erlebt. Sonst hätte er in seiner Instrumentationslehre im Kapitel Orchester nicht geschrieben: „Aus diesem Grund gibt es keine Musik im Freien.“

Der Grund, den er nennt, ist die Akustik in geschlossenen Räumen, die davon lebt, das jeder Klang von Wänden, Boden, Decke etc. reflektiert wird. Für Musik herrschen in Innenräumen Berlioz zufolge die erheblich besseren Reproduktionsbedingungen als draußen, je nach Kontext – Berlioz schreibt:

„Der glänzende Effekt, den die Militärmusikchöre in manchen Straßen großer Städte hervorbringen‚ bestätigt diese Behauptung, trotz des scheinbaren Widerspruchs. Die Musik ist dann keineswegs im Freien; die Mauern der hohen Häuser‚ welche die Straßen rechts und links begrenzen, die Baumalleen, die Breitseiten der großen Paläste, der benachbarten Denkmäler, sie alle dienen als Reflektoren; der Ton prallt zurück und bleibt eine Zeitlang innerhalb der ihm zugewiesenen Grenzen, bis er durch die wenigen vorhandenen Lücken entweicht; sobald aber das Militärmusikchor bei Fortsetzung seines Marsches und Spiels aus der großen, widerhallenden Straße auf eine Ebene ohne Häuser und Bäume gelangt, verlieren sich die Töne nach allen Richtungen hin, das Orchester verschwindet, es gibt keine Musik mehr.“

Am Sonntag spielt die Blaskapelle ein Konzert in Lienz unter freiem Himmel. Ich werde mal horchen…

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