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Klangfarbenpercussion

Unsuk Chins Klavierkonzert

Bekannt zu sein, ist unbequem. In einem Gespräch mit Hanno Ehrler hat die heute sehr bekannte südkoreanische Komponistin Unsuk Chin im Jahr 2016 über die Zeit gesprochen, als in Deutschland noch kaum jemand wusste, wer sie war. Sie hatte einige Jahre lang bei Ligeti in Hamburg studiert. 10 Jahre lang experimentierte sie quasi unter dem Radar. Sie konnte komponieren, was sie wollte, »mal eine Aufführung in Paris und in London, ist ganz nett, völlig unabhängig«, sagte die Komponistin.

»[S]obald man bekannt wird«, fährt sie fort, »kommt der öffentliche Druck, das ist sehr schwierig, die Qualität zu halten, die Öffentlichkeit will immer mehr, man versucht die Gunst der Stunde zu nutzen, dann komponiert man mal schnell ein paar Stücke, und ich bin damit sehr vorsichtig.«

Plötzlich kennt Dich jede:r

Laut Hanno Ehrler war es der Dirigent Kent Nagano, der sich für Unsuk Chin einsetzte. Er schlug sie als composer in residence beim Deutschen Symphonieorchester Berlin vor. Und er öffnete ihr damit Türen, die ihr ansonsten vielleicht verschlossen geblieben wären.

Anders als bei vielen zeitgenössischen Komponist:innen stehen Unsuk Chins Stücke weniger im Fokus von Festivals wie den Donaueschinger Musiktagen, die auf Neue Musik spezialisiert sind. Stattdessen sind es außer Kent Nagano weltweit so bekannte, ja berühmte Dirigenten wie Sir Simon Rattle oder Gustavo Dudamel, die Unsuk Chins Kompositionen dirigieren, und zwar in den Aboreihen renommierter Konzerthäuser, dort wo sonst Beethoven-Symphonien rauf- und runtergespielt werden oder Klavierkonzerte von Mozart bis Tschaikowski.

In solchen Sälen Fuß zu fassen, hilft zwar der Karriere. Aber die Erfolge erzeugen auch den Zwang, weiter produktiv sein zu müssen. Vielleicht zehrt Unsuk Chin nach wie vor von den Jahren, in denen sie unbekannt, aber in aller Ruhe an ihrer Musik feilen konnte, ohne dass die ganz große Öffentlichkeit sie hören wollte so wie heute.

Unsuk Chins Musik I – Konzert für Sheng und Orchester

Ich kenne Musik von Unsuk Chin, seit ich mich vor einigen Jahren mit ihrem faszinierenden Konzert für Sheng und Orchester beschäftigt habe. Die Sheng ist ein Instrument, das in Europa vermutlich kaum jemand kennt, mal abgesehen z. B. von Hörer:innen, die Chins Konzert schon mal erlebt haben.

Die Sheng, eine chinesische Mundorgel
Eine Sheng, so eine Art Miniaturkirchenorgel, aber ohne künstliches Gebläse? Seasonaldemand, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons

Aus China stammend, hat die Sheng einen festen Platz in der dortigen traditionellen Musik. In westlichen Konzertsälen klingt das ungewohnt, erinnert klanglich von fern an eine Ziehharmonika. Aber die Töne werden nicht mit einem Blasebalg erzeugt, sondern mit dem Mund: Sie entstehen dann in verschieden langen Bambusrohren. Es sind sogar Akkorde möglich, also mehrere Töne gleichzeitig, ein bisschen ähnlich wie bei einer Mundharmonika. Die Sheng aber zählt zur Familie der Mundorgeln.

Die Kombination der im Westen fremd wirkenden Sheng mit dem vertrauteren Instrumentarium eines Symphonieorchesters ist manchmal wild. Häufig klingt das ätherisch. Und spannend ist es eigentlich immer – schon weil man nie weiß, was kommt: klanglich, rhythmisch, laut oder leise etc.

Unsuk Chins Musik II – Klavierkonzert

Ähnlich unvorhersehbar, klangphantastisch und enorm energetisch ist das Klavierkonzert von Unsuk Chin. Was mir daran auffällt, ist, wie die Komponistin systematisch damit zu arbeiten scheint, gegeneinander Funken schlagende Klangfarben und Rhythmen wechselseitig zum Motor der formalen Entwicklung zu machen.

Rein vom Hören her wirken diese beiden von Unsuk Chins Stücken auf mich, als würden sie einen großen Teil ihrer umwerfenden Energie aus der rhythmischen Dynamik ihrer immer wieder unerwarteten Klangfarben beziehen.

Der auch im langsamen Tempo zugkräftige Rhythmus allein würde die Musik schon vorantreiben und interessant machen. Fesselnd wird sie im Klavierkonzert dadurch, dass sie, während der stark perkussiv geprägte Rhythmus immer mal wieder gleichförmig tut, wie in einem Kaleidoskop ihre instrumentatorisch fein ausgefeilten Klangfarben zur Schau stellt. Der dann doch raffinierter als gedachte Rhythmus tut das Seinige dazu.

Tamara Stefanovich als Solistin spielt Unsuk Chins Klavierkonzert mit dem WDR Sinfonieorchester unter Baldur Brönnimann.

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