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Ein Gespür für die Zeit

Die achte Symphonie von Dmitri Schostakowitsch

Klassische Musik kann das Leben schöner machen, aber sie macht niemanden zu einem besseren Menschen. Vielleicht bin ich ausgeglichener, wenn ich im richtigen Moment die richtige Musik höre. Manchmal hilft sie mir, mich abzuregen. Oft freue ich mich über sie. Vielleicht noch öfter höre ich sie, als wäre es selbstverständlich, sie zu hören, mehr oder weniger wann immer ich Lust dazu habe. Und da rede ich noch nicht einmal davon, dass ich mir sehr häufig sogar aussuchen kann, was ich grade hören möchte.

Immer mal wieder nimmt klassische Musik mich mit. Das merke ich zum Beispiel spätestens daran, dass meine Stimmung nach einem gelungenen Konzert völlig anders ist als vorher.

Und hin und wieder kanalisiert klassische Musik Emotionen – die sonst ihren Weg nicht finden, aber von selbst nicht verschwinden würden – und sie gibt ihnen Raum.

Schostakowitsch statt dem Klassiker Mozart

So ging es mir letzten Samstag in einer Generalprobe bei den Bamberger Symphonikern. Ich hatte ursprünglich vor, über Mozarts Klarinettenkonzert zu bloggen. U. a. dieses Stück wurde geprobt. Meine Idee war, dass Mozarts Konzert eines derjenigen Stücke ist, an dem sich wie mit Händen greifen lässt, was klassische Musik eigentlich ist.

Der Begriff der klassischen Musik im landläufigen Sinn und so wie ich ihn hier auf dem Blog meist verwende, ist ja einer aus Bequemlichkeit: Er ist historisch sehr unscharf, jedenfalls wenn man ihn benutzt, um mehr oder weniger alles darunter zu fassen, was in heutigen Konzert- oder Opernhäusern gespielt wird. Und auch stilistisch sagt ein historisch so weit gefasster Begriff von klassischer Musik nichts, was einem beim Hören wirklich weiterhilft.

Um mal ein bisschen genauer zu werden, bietet sich die Musik Mozarts sehr gut an, vor allem so zeitlos schön scheinende Stücke wie sein Klarinettenkonzert.

Auf dem Programm der Generalprobe, die ich mir letzten Samstag anhören konnte, stand aber im ersten Teil die achte Symphonie von Dmitri Schostakowitsch.

Die ›Kriegssymphonien‹ von Dmitri Schostakowitsch

Diese Symphonie ist eine der drei, die der Komponist während oder bald nach dem Zweiten Weltkrieg vorgelegt hat. Jede dieser Symphonien ist hörenswert auf eigene Art.

Die siebte Symphonie, entstanden in den ersten Kriegsjahren, ist »Der Stadt Leningrad gewidmet«. Das Stück ist als die »Leningrader« Symphonie bekannt geworden. Sie wurde einige Monate nach der Uraufführung auch in der von deutschen Truppen belagerten Stadt Leningrad gespielt.

Das Konzert wurde im Rundfunk übertragen. Der polnische Komponist und Schostakowitsch-Biograph Krzysztof Meyer zitiert aus der kurzen Einführung, die vor diesem Konzert zu hören war: »Dmitri Schostakowitsch hat eine Symphonie geschrieben, die zum Kampf aufruft und die Siegeszuversicht stärkt.«

Dmitri Schostakowitsch in Feuerwehruniform 1941 während der Belagerung Leningrads durch die Deutschen
Dmitri Schostakowitsch im Jahr 1941, in Feuerwehruniform, während der Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht

Es war eine Inszenierung, deren Wiederholung sich niemand wünschen will. Tatsächlich hat Schostakowitsch in seinen Symphonien Nr. 8 und 9 schon rein musikalisch wenig von dem wiederholt, womit die Siebte damals assoziiert wurde: Diese Siebte galt als kämpferisches Stück, das den Widerstand gegen den Faschismus musikalisch in Szene setzt. Sie war von Anfang an auch international enorm erfolgreich. Schostakowitsch galt manchen gar als neuer Beethoven, seine Siebte als »Eroica unserer Tage«.

Dass er das jedenfalls so nicht sein wollte, hat Schostakowitsch 1945 mit seiner Neunten bewiesen. Die ist kein Monumentalstück, keine Siegessymphonie zum Ende des »Großen Vaterländischen Krieges«, sondern ein musikalischer Witz, den man erst einmal wagen musste damals.

Leonard Bernstein hat diese Neunte sehr geschätzt und über sie gesagt: »It’s like sitting down to a big serious banquet and being served hotdogs and potato chips«.

Dmitri Schostakowitsch und seine achte Symphonie

Weder mit der genannten Neunten noch mit der Achten von Dmitri Schostakowitsch konnte die sowjetische Kulturpolitik recht glücklich sein.

Die Achte ist, kurz gesagt, zu schmerzhaft und erfüllt von Trauer, Lähmung und Entsetzen. Vielleicht ist sie auch schlicht zu offen, verletzlich und ehrlich. Das ist mitreißende Musik, sicher. Aber auf diese Art und Weise will man nicht mitgerissen werden, ich zumindest nicht. (In der Hinsicht widerstrebt mir auch die Siebte.) Und der letzte Satz ist kein Triumph.

In der Generalprobe neulich habe ich dieses Stück zum ersten Mal live gehört. Ich kannte die Symphonie vorher schon, aber nicht besonders gut. Ich wusste nur, das wird gut, weil diese Achte gute Musik ist.

Das ist aber auch eine Symphonie, die einen mitnimmt. Trotz oder gerade wegen der historischen Distanz macht sie – zumindest ansatzweise und aus denkbar großer räumlicher Distanz – fühlbar, was alles kaputtgeht im Krieg und welches Leid er verursacht – und das wohl in letztlich unermesslicher Form überall, egal innerhalb welcher völlig unterschiedlichen Kontexte er jeweils geführt wird.

Die achte Symphonie von Schostakowitsch ist Musik, die einen nicht am Kragen packt und schüttelt, sondern die trotz teils gewaltiger Ausbrüche ganz bei sich wirkt, diszipliniert, ja streng. Vielleicht macht sie das so überzeugend. Gerade jetzt. Für mich jedenfalls.

Das Zeitgefühl verloren

Als ich in der Generalprobe saß, habe ich irgendwann das Zeitgefühl und die Orientierung verloren. Ich wusste nicht mehr, welcher der fünf Sätze gerade gespielt wird. Und obwohl ich wusste, dass der vierte Satz eine Passacaglia ist, hab ichs in dem Moment einfach nicht gehört, nicht mal ansatzweise.

Maxim Schostakowitsch, der Sohn des Komponisten, dirigiert die achte Symphonie.

Eine Passacaglia ist eine barocke Variationsform über einer sich mehr- oder vielfach wiederholenden Basslinie, die gleich bleibt und deswegen im Grunde ganz gut zu hören ist. Oben in der Aufnahme folgt der vierte Satz irgendwann nach Minute 40:00 direkt im Anschluss an den unangenehm motorischen dritten – nur wann genau?

Ich kann es nicht belegen und kann es nur vermuten: Aber vielleicht ist es geradezu eine Strategie von Schostakowitsch, im trist-langsamen vierten Satz – der Passacaglia – durch die kaum wahrnehmbare Monotonie der wiederkehrenden Basslinie die Zeit so zu dehnen, dass man beim Hören förmlich in der Wiederholung versinkt, ohne es richtig zu merken.

Nach ein, zwei Mal Hören hab ich dann nach und nach auch die wiederkehrenden Formeln in der Bassstimme zu hören begonnen. Eine Hilfe kann sein, sich auf deren Rhythmus zu konzentrieren.

Der letzte Satz beginnt oben in der Aufnahme übrigens kurz vor Minute 55:15.

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