Clara Schumann und ihre Variationen op. 20
Clara Schumann und ihr Ehemann Robert gehören zu den prägenden Künstlerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Was sie komponieren, ist häufig wie ein musikalisches Gespräch: Robert zum Beispiel schreibt schon 1833 eine Reihe von Impromptus op. 5 über eine Romanze von Clara Wieck (so der Geburtsname seiner späteren Ehefrau). Claras Variationen op. 20 über ein Thema von Robert Schumann entstanden 1853, wenige Jahre vor dessen Tod in der Heilanstalt Endenich im Jahr 1856.
Untypische Rollenverteilung
Die beiden führten eine für die damalige Zeit ziemlich untypische Ehe. Robert nämlich war es, der schon vor der mühsam Claras Vater abgerungenen Hochzeit 1840 damit klarzukommen hatte, dass seine Frau als Pianistin regelmäßig die großen Bühnenerfolge einheimste. Er selber musste sich neben ihr seinen Status als Komponist erst noch erarbeiten.
Und als sich die Gewichte später verschoben, war es immer wieder Clara, die, als Verantwortliche für den Haushalt und als Mutter von acht Kindern (!), zusätzlich durch ihre Konzerte das gemeinsame Haushaltseinkommen sichern musste, weil Schumanns Karriere nicht so stabil und verlässlich verlief wie die seiner Frau. Ab den 1850er Jahren war Robert Schumann ohnehin gesundheitlich schwer angeschlagen.
Seine Laufbahn als Pianist hatte er früh bereits aufgeben müssen. Als Dirigent war er mal erfolgreich, mal auch nicht. Und als Komponist war er zwar außerordentlich produktiv und weithin anerkannt – das ist er ja auch noch heute. Aber die Konkurrenz war groß und Schumann in der großen Öffentlichkeit nicht immer gleichermaßen bewundert wie seine Frau Clara, die sich – angetrieben von ihrem Vater – schon als Kind einen Namen als eine hervorragende Pianistin gemacht hatte.
Einzig als Redakteur der von ihm 1834 mitgegründeten Neuen Zeitschrift für Musik machte Robert Schumann von Anfang niemand etwas vor. Auch diese Zeitschrift gibt es noch heute.
Typisches Beziehungsmuster
Typisch war die Beziehung zwischen Clara und Robert Schumann insofern, als Clara bald nach ihrer Hochzeit 1840 und Familiengründung nicht mehr in gleicher Weise die Zeit für das eigene künstlerische Schaffen fand:
Clara Schumann steckte zurück. Ihre 1841/42 komponierte Klaviersonate g-Moll blieb ungedruckt, vom Entwurf eines zweiten Klavierkonzerts in f-Moll (1846) ist nur ein Particell-Fragment von 179 Takten enthalten. Möglicherweise wurden für diese Stücke die im Werkkatalog fehlenden Opuszahlen 18 und 19 freigehalten. Die partnerschaftliche Konkurrenz wirkte sich nicht nur inspirierend aus. Vielmehr frustrierte der stete Vergleich auch, weil das Fehlen einer eigenen kontinuierlichen Arbeitsmöglichkeit umso deutlicher hervortrat.
Janina Klassen, Artikel »Clara Schumann«, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung, online verfügbar unter https://mugi.hfmt-hamburg.de/receive/mugi_person_00000752, zuletzt abgerufen am 11. November 2023.
Romantischer geht’s nicht in der Musik
Noch vor der Hochzeit, die Clara Wiecks Vater überhaupt nicht recht war, widmete Robert Schumann seiner späteren Frau seine Klaviersonate Nr. 1 und beispielsweise die Kreisleriana op. 16. Die 3 Romanzen op. 28 fand Robert nicht gut genug für Clara.
Viele seiner Werke für Klavier hat Clara Schumann entweder mit angeregt oder oft öffentlich gespielt oder beides, zum Beispiel Roberts Klavierkonzert, das sie auch zur Uraufführung brachte. Mit Sicherheit hat Clara Schumann durch ihre Bühnenpräsenz zum Erfolg vieler von Robert Schumanns Klavierstücken beigetragen.
Aber auch Clara komponierte und auch sie hat ihrem Ehemann mehrere ihrer Stücke gewidmet.
Clara Schumanns Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 20
Ein besonders schönes Werk sind ihre Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 20. Roberts Thema stammt aus seinen Bunten Blättern op. 99, dort trägt es – als Albumblatt Nr. 1 – die Nummer 4:
Und hier folgt, was Clara Schumann aus dem Thema ihres Ehemanns gemacht hat – es ist ein außerordentlich hörenswertes Stück, fabelhaft komponiert, und es vermittelt einen Eindruck davon, wie selbstverständlich virtuos Clara Schumann das Klavier behandeln konnte:
Es gibt mehrere Aufnahmen dieser Variationen, z. B. auch von Veronica Jochum oder Susanne Grützmann. Mir gefällt besonders gut u. a. die Version von Benjamin Grosvenor, der auf seiner CD Werke von Robert und Clara Schumann mit Stücken von Johannes Brahms kombiniert.
Als auffällig höre ich, wie Robert Schumanns Thema in den Variationen von Clara Schumann immer klar und deutlich zu erkennen ist; es wird nie verschleiert, nie verschwindet es komplett im Figurenwerk irgendeiner selbstverliebt virtuosen Variation, die nur für sich selbst genauso gut stehen könnte.
Vielleicht kann man Clara Schumanns op. 20 als Liebeserklärung, aber auch als Statement einer Frau hören, die in ihren Verpflichtungen Kind ihrer Zeit war, aber darüber hinaus und ganz davon unabhängig sehr genau wusste, was sie konnte: Roberts Thema, aber Claras Variationen – entscheidend ist nicht, was durch das Thema vorgegeben war, sondern was sie aus ihm gemacht hat, und zwar als Musikerin, Komponistin und als Pianistin.
Zwei weitere Versionen der Variation IV
Robert Schumanns Thema ist klar strukturiert und gibt auch den Variationen eine klare Kontur. Clara Schumann umspielt das Thema raffiniert, sei es mit virtuosen Begleitfiguren, sei es, dass sie es mehrfach stilistisch verwandelt.
Die Variation III bspw. erinnert an eine Choralmelodie (oben ab Minute 3:03). Und die Variation IV (oben ab Minute 4:13) klingt wie eine Art Jazz-Improvisation avant la lettre.
Hör mal, wie unterschiedlich schnell Konstanze Eickhorst (oben), Benjamin Grosvenor (gleich hier) und (weiter unten) Susanne Grützmann diese Variation spielen:
Warum swingt das so, und zwar egal in welchem Tempo dieses kurze Stück gespielt wird? Das Geheimnis liegt in den begleitenden Triolen. In der folgenden Version ist das besonders gut zu hören:
Besonders schön komponiert ist das Ende der letzten Variation, hier unten ab Minute 1:50, da hören wir plötzlich eine Reminiszenz an das Thema, dann, ca. ab Minute 1:57 schieben sich die Stimmen für einen Moment chromatisch umeinander, das scheint schmerzerfüllt kurz zu stocken, dann eine leise klagende Passage, bis sich ab 2:49 die Spannung löst, es gibt einen kurzen Augenblick der Ruhe bei Minute 3:00 – und dann der Schluss löst sich auf in Leichtigkeit.
Im Jahr 1854 hat Johannes Brahms über Robert Schumanns Thema ebenfalls Variationen veröffentlicht und sie Clara Schumann gewidmet. Andere Geschichte.