Gustav Mahlers 5. Symphonie
Am letzten Aprilwochenende war Jonathan Nott wieder in Bamberg zu Gast. Er dirigierte Mahlers 5. Symphonie bei den Bamberger Symphonikern.
Ich war in der Generalprobe, weil ich dieses Stück sehr oft, aber seit Jahren nicht live gehört hatte. Genauer kennengelernt habe ich diese Fünfte im Rahmen der Mahler Competition 2004 in Bamberg. Jonathan Nott war damals nicht nur Chefdirigent, sondern auch Präsident der Jury.
Die erste Mahler Competition in Bamberg
2004 hieß diese Competition noch etwas umständlich Bamberger Symphoniker Gustav Mahler-Dirigentenwettbewerb. Konnte ja keiner wissen, dass er sich sehr schnell etablieren würde, u. a. weil gleich bei seiner ersten Austragung Gustavo Dudamel den ersten Preis gewinnen sollte.
Er ist heute u. a. Music Director des Los Angeles Philharmonic. Sein Standing ist vermutlich ungefähr mit dem von Leonard Bernstein zu vergleichen, der vor Jahrzehnten Chef des New York Philharmonic war, dessen zukünftiger Chef Gustavo Dudamel werden wird.
Das war 2004 in Bamberg noch nicht abzusehen. Ich bin damals durch einen Zufall dazu gekommen, sämtliche Wettbewerbsrunden live im Saal zu erleben. Ein Freund von mir, Programmheftredakteur beim Orchester, hat mich gefragt, ob ich die Mikrofontechnik übernehmen will.
»Microphone Man«
Mein Job war, den Teilnehmern ein Funkmikro ans Hemd zu heften, das Mikro anzuschalten und die Lautstärke zu regeln, wenn sie redeten. Sobald sie wieder dirigierten, musste ich ausschalten – oft hatte ich sehr schnell zu reagieren. Ich hing allen Teilnehmer:innen an den Lippen und kam mir vor wie eine Art zweiter Triangelspieler. Nur saß ich nicht im Orchester, sondern im Saal, wo ansonsten nur die Jury saß: Die Dirigent:innen wurden gefilmt und direkt live auf einer Leinwand auch im Saal von vorne sichtbar gemacht. Publikum gabs erst in den Finalrunden.
Es war ganz toll und sehr bereichernd, wahrscheinlich gerade weil das alles so anstrengend war. Ich hatte das Orchester als Nebenfach-Musikwissenschaftler häufiger in Generalproben gehört, noch nie aber so oft in so kurzer Zeit unter so unterschiedlichen Dirigent:innen mit den immer wieder gleichen Stücken – und es klang wirklich jedesmal anders und teils neu!
Auch die Fünfte von Gustav Mahler habe ich vom 21. April bis 2. Mai 2004 oft gehört, so oft, dass ich ganz sentimental werde, wenn ich an dieses Stück denke. Irgendwo hab ich noch ein Programmheft des Wettbewerbs, mit Autogrammen fast aller Teilnehmer:innen…
Unter den Kandidatinnen war damals Oksana Lyniv. Sie hat am Ende einen 3. Preis bekommen. Ich kann mich an ein Gespräch hinter der Bühne erinnern. Eine Musikerin war nicht zufrieden, weil die Dirigentin ihrer Meinung nach etwas gleichförmige Gesten hatte. Ein Musiker antwortete bloß, jaja, aber sie hat halt diese Spannung. Dem Adagietto aus Mahlers Fünfter hat diese Spannung sehr gut getan.
Das Adagietto und der Choral im Finale
Sehr schön ist dieses Adagietto. Es erinnert ein bisschen an Mahlers Lied »Ich bin der Welt abhanden gekommen«, das damals ebenfalls zum Repertoire des Wettbewerbs gehörte.
Kurz vor dem Abschlusskonzert des Wettbewerbs war Gustavos Frack noch nicht gebügelt, womit man unter den damaligen Umständen hätte rechnen können. Eine Dame aus dem Orchesterbüro hat sich, glaub ich, sehr schnell darum gekümmert, dass er dann trotzdem glatt auf die Bühne gegangen ist.
Besonders beeindruckt hat mich in diesem Konzert, das für mich in seiner Intensität nicht wiederholbar ist, der Choral der Blechbläser kurz vor Ende des fünften Satzes.
Im folgenden Video beginnt der Anlauf dazu ca. bei 1:10.00:
Es hat damals in Bamberg ein bisschen so ausgesehen, als ob Gustavo Dudamel von diesem Choral fast von der Bühne geweht würde – so sehr hat er sich in seinem feinen Frack nach hinten durchgestreckt, um dieser Passage ihre ganze Wucht mitzugeben. In dem Video oben bleibt er gelassener. Wahrscheinlich hat er das Stück inzwischen so oft dirigiert, dass er entspannter darauf vorbereitet ist als nach ca. zwei Wochen Wettbewerb.
Der Choral im zweiten Satz
Es gibt schon im zweiten Satz eine Stelle, in der der Choral durchbricht, das beginnt oben inkl. Anlauf so ca. ab Minute 25.
Beide Choräle wirken nicht vollständig oder jedenfalls brüchig. Und ich glaube, das ist ganz entscheidend: Erst werden sie mit großem Getöse vorbereitet. Und wenn dann nach einem eher sanften Bläsereinsatz endlich die ganz große Fanfare hereinbricht, verklingen sie, bevor sie sich richtig entfalten. Es wirkt ein bisschen, als ob nach längerer Vorankündigung plötzlich die Sonne durch die Wolken bricht, aber nur kurz.
Man kann diese lange Fünfte im Konzert so hören, dass man sie in der eigenen Vorstellung durch solche Schlüsselstellen strukturiert. Die Vorfreude hilft beim Durchhalten. Ein bisschen so gings mir neulich in der schönen Generalprobe.
Ob, wenn der Choral aufscheint, alles gut wird?
Hier die Bamberger Symphoniker unter Jonathan Nott, live bei den BBC Proms 2013, mit Mahlers 5. Symphonie:
Und falls Dir Mahler zu langatmig ist, geht’s hier zu einem Text über Webern.