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Ein Beethovenschnipsel bei Strauss

Von Beethovens Fünfter in die Alpensinfonie bei Strauss

Das Finale von Beethovens Fünfter ist ein jubelnder Triumphmarsch, der sich in seinen Siegestaumel geradezu hineinsteigert. Aber gut, ein solches Sich-Hineinsteigern lässt sich auch als Insistieren hören: eine Geste, die Beethoven blind beherrscht hat – und die es ihm ermöglicht, plötzliche Kontraste zu schaffen. Das tut er auch im Schlusssatz seiner Fünften, zum Beispiel mit dem Fagottmotiv bei 8:56, das sich aus einem Nebengedanken herleiten lässt (zu hören ab Minute 0:36):

Jordi Savall dirigiert Le Concert des Nations im Finale von Beethovens Symphonie Nr. 5.

Dieses Fagottmotiv mit seiner Punktierung am Ende wirkt schmissig, rund und elegant. Es lässt sich gut abgrenzen, weil direkt nacheinander verschiedene Instrumente es spielen (Horn, Flöte); erst anschließend entwickelt es sich weiter.

Fagottmotiv mit Vorgeschichte

Dass es dem Nebengedanken vom Anfang des Satzes verwandt ist, lässt sich gut hören – der frühe Nebengedanke geht so: eine längere Note (3 Schläge lang), dann (1 Schlag) der Auftakt zu drei Folgeschlägen (1 oder auch 3 Töne, je nachdem), dann ein etwas kürzerer Ton (eine punktierte Note) und ein sehr kurzer Ton, der wiederum als Auftakt wirkt: Im Grunde wiederholt Beethoven in dieser punktierten Figur den Beginn dieses Motivs (die längere Note mit dem folgenden Auftakt), allerdings eben schneller als zu Beginn.

Das Fagottmotiv gegen Ende des Schlusssatzes ist ähnlich strukturiert, am markantesten ist wahrscheinlich die schon erwähnte kurze punktierte Figur vor dem letzten Ton.

Beethoven lässt uns, indem er dieses Fagottmotiv einbaut, noch einmal durchatmen. Erst danach (ab Minute 9:45) steigert sich das Tempo in einer Weise, die so mitreißend ist, dass man sich ihr kaum entziehen kann: Das ist ein unglaublicher Schlussspurt! Und das äußert sich auch daran, dass die Musik am Ende wirkt, als könnte sie gar nicht mehr bremsen. Es dauert einfach eine Spur zu lange, bis sie wirklich zu ihrem Ende findet.

Andererseits: Falls Du Dir mal die ganze Symphonie anhörst, wirkt das lange Ende vielleicht auch perfekt ausbalanciert. Irgendwie muss sich die Energie ja zügeln lassen, die schon der erste Satz entwickelt hat mit seinem endlos wiederholten Ta-ta-ta-taa.

Zitat in der Alpensinfonie von Richard Strauss

Den Rhythmus von Beethovens Fagottmotiv nimmt der Komponist Richard Strauss in »Eine Alpensinfonie« wieder auf, gleich zu Beginn des Teils Der Anstieg:

Herbert von Karajan dirigiert den Anstieg aus der Alpensinfonie.

Wenn man das verfremdete Zitat als Anspielung auf Beethovens Fünfte ernstnimmt, dann fällt zuallererst auf, dass das kleine Motiv bei Beethoven kurz vor dem Ende auftaucht. Strauss dagegen platziert es ganz am Anfang seiner Symphonie.

Von der Intervallstruktur her unterscheiden sich die beiden Motive ebenfalls: Das Motiv bei Beethoven wirkt runder und vielleicht schlüssiger als das bei Strauss. Strauss nämlich führt die Töne in einer Weise nach oben und unten, dass zumindest ich nicht gleich erkenne, wo es denn hingehen soll. Beethoven führt seine Melodie zwar auch im Zick-Zack, aber insgesamt doch organisch in eine Richtung: nach oben. Und Strauss?

Wie Strauss die Rhythmen punktiert und die Töne nach oben und unten lenkt, wirkt sehr energisch, kraftvoll und motiviert, aber weniger elegant als bei Beethoven. Außerdem assoziiere ich ein Stolpern, das ich bei Beethoven so nicht höre.

Strauss kommentiert Beethoven

Insgesamt höre ich Beethovens Fünfte nicht als eine klassische Komposition, die von ihren Proportionen her wunderbar ausgewogen wäre. Im Gegenteil: Der Schlusssatz ist zu gewichtig. Der Schluss dieses Satzes dauert zu lang. Und genau das ist der Punkt!

Diese Symphonie schießt über das Ziel hinaus, kann hinter der Ziellinie nicht bremsen. Sie will zu viel. Und das zeigt sie auch. Und dadurch, dass sie das zeigt, bietet sie die Gelegenheit nachzudenken: Was kommt denn nach dem Triumph?

Richard Strauss beantwortet diese Frage, indem er Beethovens Atem-hol-Motiv zu einem kleinen Thema am Anfang seiner Alpensinfonie werden lässt. Der Bergsteiger will hoch hinaus (vermutlich soll es ein Mann sein). Er hat Kraft und steigt munter nach oben.

Dass er den Gipfel erreichen und trotz Unwetter auch den Abstieg bewältigen wird, ist dann gar nicht entscheidend. »Eine Alpensinfonie« vertont zwar eine Bergbesteigung. Aber im Titel trägt sie ein Gebirge. Und vielleicht lässt sich das Auf-und-Ab der Berglandschaft sogar schon im zackigen Anstiegs-Thema hören.

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